Ernährung

Das wohl fundamentalste Grundbedürfnis aller Lebewesen ist die Aufnahme von Energie in Form von Nahrung. Hier sind, wer hätte es erwartet, auch Schildkröten keine Ausnahme. Dabei nehmen sie oft eine günstige ökologische Nische in ihrer Umwelt ein, um sich möglichst wenig mit anderen Spezies um die begrenzten Ressourcen konkurrieren zu müssen und ihr überleben zu sichern. Im Reich der  Testudinidae gibt es wahre Nahrungsspezialisten, wozu der Genus Testudo wohl eher nicht zählt. Dennoch gibt es einige fundamentale Dinge bei der Auswahl des richtigen Futters für unsere Schützlinge zu beachten, um sie auch über Jahrzehnte gesund und vital halten zu können und Parasiten/Krankheiten vorzubeugen.

Nährstoffe

Um zu verstehen, welches Futter gut bzw. weniger gut oder sogar schädlich für Europäische Landschildkröten ist, sollte man meiner Ansicht nach grundlegend den Stoffwechsel der Tiere verstehen. 
Hierzu gehen wir am besten einen Schritt zurück und schauen uns an, was andere Lebewesen für ihre Existenz benötigen.
Der Mensch braucht, neben Trinkwasser, zwei Arten von Nährstoffen:

  • Mikronährstoffe in Form von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen. Diese sind keine Energieträger, sondern dienen der Verwertung eben dieser.
  • Makronährstoffe, die Energieträger, welche in der Maßeinheit kcal (Kalorien) gemessen werden.


Makronährstoffe unterscheiden sich wiederum in Ihrer Struktur und Funktion. Die drei wesentlichen in der menschlichen Ernährung sind Proteine, Fette und Kohlenhydrate. Hierbei fungieren Proteine als Baustoffe (Muskelgewebe, Haut, Haare, etc.), Fette als Speicherstoff bzw. Botenstoffe (Hormone) und Kohlenhydrate als Energiestoff zur Synthese von ATP.
Während Kohlenhydrate für den Mensch als einziger Stoff (theoretisch) abdingbar wäre, sind es die Fette, welche für die Europäischen Landschildkröten verzichtbar und in der Ernährung auch praktisch unrelevant sind.

Thermoregulation

Der Mensch braucht Energie, und dafür muss er Nahrung zu sich nehmen. Theoretisch kann er diese aus allen drei Makronährstoffen gewinnen, wobei bei normaler, kohlenhydratreicher Ernährung der größte Teil der Energie aus Zuckern generiert wird (Glycolyse).
Fehlen diese, greift er zunächst auf die Glycogenspeicher in der Muskulatur zurück, dann auf die Fettreserven (Lipolyse), und erst bei drastischem Defizit auf körpereigene Proteinstrukturen (Proteolyse) zurück.
Der Mensch braucht als endothermes (gleichwarmes) Tier im Vergleich zur ektothermen (wechselwarmen) Schildkröte wesentlich mehr Energie, da er unabhängig von seiner Umgebungstemperatur stets auf ca. 37°C "hochheizen" muss.
Schildkröten nutzen dafür ihre Umgebungstemperatur, weshalb auch Ihre Aktivität davon abhängig ist. Hierzu aber mehr im Kapitel Bedürfnisse.

Bei der Haltung diverser Sumpschildkröten ist mir aufgefallen, dass diese auch bei niedrigeren Temperaturen aktiver zu sein scheinen, als etwa Landschildkröten.
Dies könnte an der höheren Stoffwechselaktivität aufgrund der energiereicheren, carnivoren Ernährungsweise liegen, zumal die Tiere ohnehin oft wenig bis kein Sonnenlicht in ihrem Habitat zur Verfügung haben, um sich entsprechend auf Temperatur zu bringen.

Stoffwechsel

Schauen wir uns den Lebensraum der Europäischen Landschildkröten an so stellen wir fest, dass der überwiegende Teil der verfügbaren Nahrung aus eher karger Vegetation besteht, welche oftmals sehr kalkhaltig zu sein scheint. Dies wird bedingt durch die trockenen Kalksandsteinböden, sowie das entsprechende Klima, wobei sich auch hier die jeweiligen Verbreitungsgebiete unterscheiden können. 
Den größten Teil ihrer Energie gewinnen die Tiere aus Kohlenhydraten in Form von Cellulose, weniger über kurzkettigere Zucker aus Blüten, selten aus Proteinen und Fetten aus Aaß, jungen Trieben oder kleineren Wirbeltieren bzw. Wirbellosen, insbesondere Schnecken.
Wie die meisten Tiere sind auch Schildkröten nicht in der Lage die Cellulose selbstständig zu verdauen und zu verwerten. Hierbei benötigen sie die Hilfe von Enzymen und Einzellern, welche im Blind- bzw. Dickdarm die Kohlenhydratketten spalten.
Bei herbivoren Landschildkröten ist dieser Darmabschnitt länger als bei carnivoren, da hier der Hauptteil der rohfaserreichen Nahrung verarbeitet werden muss, was oft sehr lange dauert und durch die notwendige Enzymaktivität auch dauern muss. In einer kürzeren Darmpassage würde das Futter nicht lange genug verweilen, um entsprechende Nährstoffe zu spalten und aufnehmen zu können. 

Futter

Lange Rede - kurzer Sinn... Was bedeuten nun die vorgenannten Feststellungen für die Auswahl des richtigen Futters ?
Punkt 1: Europäische Landschildkröten ernähren sich (fast) ausschließlich von kalkhaltigen Pflanzen, i.d.R. sind dies Wildkräuter. Diese stehen ihnen, je nach Jahreszeit, in frischer oder trockener Form zur Verfügung.
Entsprechend sollten wir uns mit der Verfügbarkeit an frischem bzw. getrocknetem Futter an den Gegebenheiten in der Natur orientieren.
Punkt 2: Der Stoffwechsel der Schildkröten ist abhängig von Ihrer Umgebungstemperatur. Daraus lässt sich schließen, dass je wärmer die Umgebungstemperatur der Tiere ist, umso mehr Futter wird benötigt, und umgekehrt. 
Punkt 3, und dieser ist wohl das beste Argument, um falsche Ernährung vorzubeugen: Der Darm der Tiere ist für eine herbivore Ernährungsweise ausgerichtet.
Was passiert, wenn die Tiere nun anstatt dem faserreichen, relativ energiearmen Futter süßes Obst aufnehmen?
Obst enthält viel Fruchtzucker. Da auch diese Art von Nahrung relativ lange im Darm der Tiere verweilt, beginnt nun ein chemischer Prozess, die sogenannte Gährung. Dieser Prozess schädigt die Darmflora der Tiere, was sie anfällig für Parasiten, wie Oxyuren (Fadenwürmer) und Flagellaten (Geißeltierchen) macht. Diese können wiederum in übermäßiger Zahl das Tier extrem schwächen, indem sie wichtige Nährstoffe entziehen und die Schildkröten dehydrieren. Dies kann im schlimmsten Fall zum Tod führen. Zudem bietet Fruchtzucker einen idealen Nährboden für Parasiten, was den Befall zusätzlich fördert.

Mein Futter

Vom Ende der Winterstarre (Ende Januar bis Anfang März, je nach Art) bis etwa zwei Wochen vor Beginn der nächsten Starre brauchen die Tiere täglich Futter. Zu Beginn der Saison ist die Menge dabei noch überschaubar und kann zum größten Teil von den Tieren noch selbst in den Gehegen gefunden werden. Mit steigenden Temperaturen steigt auch die Aktivität der Tiere und somit der Bedarf an Futter. Seit diesem Jahr baue ich einen Teil meines Futters selbst auf einem ca. 300qm großen Stück Wiese hinterm Haus an. Die Vorteile liegen hier klar auf der Hand:

  • stets kurze Wege zum Futter, sodass die Tiere auch versorgt werden können, wenn die Zeit mal knapp ist
  • stets verfügbar, wenn auch auf Feld und Wiese nichts zu finden ist oder gemäht wurde
  • ich kann die Zusammensetzung des Futters selbst gestalten und variieren, je nach Bedarf und Saison
  • durch Kalkung der Böden kann ich den Calciumgehalt des Futters erhöhen
  • ich weiß, wo mein Futter herkommt (keine Pestizide/Dünger, Verunreinigung durch Haus -bzw. Wildtiere).


Natürlich muss auch ich zusätzliches Futter von Feld und Wiese beziehen, da die benötigte Futtermenge leider noch nicht ganz über die Selbstversorgung gedeckt werden kann. Hierbei bin ich dankbarer Weiße gut mit den ortsansässigen Landwirten vernetzt, sodass ich immer weiß, wo und wann die Wildkräuter gemäht bzw. das Feld gedüngt/gespritzt wird. Dennoch sollte Futter von Wald und Wiese stets vor dem verfüttern gewaschen werden, um zumindest oberflächliche Fremdstoffe zu entfernen.

Das von vielen Haltern oft angepriesene Pelletfutter der Firma Agrobs wird von den meisten meiner Tiere nicht angenommen. Zwar kann man die Schildkröten daran gewöhnen, jedoch verwende ich lieber eigens getrocknetes Futter, welches auch von den Tieren bevorzugt wird. Ebenso bedarf es keiner zusätzlichen Einweichung von selbstgetrocknetem, was speziell im Hochsommer für Nordafrikanische Landschildkröten von Vorteil ist. Für die Wintermonate mag es für exotische Landschildkröten eine alternative darstellen, ich werde es sicher testen.

Die in letzter Zeit immer häufiger zu findenden Pellets mit der Bezeichnung "Mazuri" werden von meinen Tieren sehr gerne angenommen. Ich verwende es vorallem zur Aufzucht von Europäischen Landschildkröten, sowie für exotische Arten wie Geochelone platynota, Chelonoidis carbonaria und weitere Arten mit einem etwas höheren Bedarf an Protein.
Einen Link zur Internetseite finden Sie hier. Meine adulten Tiere bekommen die Pellets regelmäßig, jedoch nicht zu oft, da diese sehr eiweißhaltig sind.

Unterstützend zu den gängigen Futtermitteln füttere ich gerne saisonale Blüten (Malve, Hibiskus), gewährleiste den Tieren stets eine ausreichende Kalziumversorgung in Form von Sepiaschalen, Eierschalen, Algenkalk oder Muschelgrit. Dies ist besonders für Jungtiere und Weibchen während der Eiablagezeit von großer Wichtigkeit. Opuntien und andere Sukkulenten werden besonders in der heißen Jahreszeit gerne angenommen, sind jedoch auch eher ein Leckerbissen und kein Hauptbestandteil der Nahrung meiner Tiere.

Wie ich meine Jungtiere ernähre und ob diese sich von den Futtergewohnheiten der adulten Schildkröten unterscheiden, lesen Sie im Abschnitt Nachzucht.